TREFFEN MIT KIRCHLICHEN BEWEGUNGEN UND NEUEN GEMEINSCHAFTEN AM 30.05.1998
Hl. Johannes Paul II.
Petersplatz, 30. Mai 1998 *
Aus Platzgründen berichten wir im Folgenden nur über den Artikel bezüglich des Neokatechumenalen Weges, den „L’Osservatore Romano“ am 29. Mai 1998 veröffentlicht hat.
In der frühen Kirche, als die Welt heidnisch war, mussten diejenigen, die Christ werden wollten, einen „Katechumenat“ gehen, das heißt, einen Weg der Glaubensformung zur Vorbereitung auf die Taufe. Heute hat der Säkularisierungsprozess viele Menschen dazu gebracht, den Glauben und die Kirche zu verlassen. Aus diesem Grund ist ein Weg der Formung zum Christentum notwendig. Der Neokatechumenale Weg ist keine Bewegung oder Vereinigung, sondern ein Instrument in den Pfarreien im Dienste der Bischöfe, um viele Menschen, die die Kirche verlassen haben, zum Glauben zurückzuführen. Er wurde in den 60er Jahren von Kiko Argüello und Carmen Hernández in einem der ärmsten Vororte Madrids gegründet und vom damaligen Erzbischof von Madrid, Casimiro Morcillo, befördert, der in dieser neuen Gruppe eine echte Wiederentdeckung des Wortes Gottes sah sowie eine praktische Umsetzung der liturgischen Erneuerung, die in genau diesen Jahren das Zweite Vatikanum in Gang gebracht hatte. Angesichts der positiven Erfahrungen in den Pfarreien von Madrid gab die Gottesdienstkongregation 1974 dieser Erfahrung den Namen „Neokatechumenaler Weg“. Es ist ein Weg der Bekehrung, durch den der Reichtum des Evangeliums wiederentdeckt werden kann. In den letzten Jahren hat sich der Weg auf 850 Diözesen in 105 Ländern mit 15.000 Gemeinschaften in 4.500 Pfarreien verbreitet. 1987 wurde in Rom das internationale missionarische Priesterseminar „Redemptoris Mater“ eröffnet, in dem junge Menschen aufgenommen sind, deren Berufungen in einer neokatechumenalen Gemeinschaft gereift sind und die sich für die Mission auf der ganzen Welt zur Verfügung stellen. Viele Bischöfe ahmten die Erfahrungen Roms nach, sodass es heute weltweit 35 Diözesane missionarische Priesterseminare „Redemptoris Mater“ gibt, in denen mehr als tausend Seminaristen ausgebildet werden. Als Antwort auf den Appell des Papstes für die Neuevangelisierung haben kürzlich viele Familien, die den Weg gegangen sind, sich bereitgestellt, der Mission der Kirche zu helfen, indem sie in die am stärksten säkularisierten und entchristlichten Gebiete der Welt hinziehen und die Entstehung neuer missionarischer Pfarreien vorbereiten. Zu Beginn des Treffens, nach dem Grußwort von Kardinal Stafford, erzählten die folgenden Personen ihre Erfahrungen: Chiara Lubich, Kiko Argüello, Msgr. Luigi Giussani und Jean Venier. Im Folgenden die Rede von Kiko Argüello:
Wir sind sehr froh, Heiliger Vater, denn Sie haben uns aufgefordert, dem Herrn für die wunderbaren Gaben des Apostolats, der Heiligkeit, der Liebe und der Evangelisierung zu danken, die der Heilige Geist in der Kirche als Frucht des Konzils hervorruft, um sie für die Neuevangelisierung zu befähigen.
Vielen Dank für die Gelegenheit, Gott in der Anwesenheit Petri und all dieser Brüder zu danken, die in überwiegender Mehrheit von der Kirche entfernt waren. Aus Angst vor dem Tod lebten sie – wie ich auch – als Sklaven des Teufels, wie der Brief an die Hebräer sagt (vgl. Hebr 2, 14-15). Aber Gott sandte seinen Sohn, um uns zu befreien. Christus hat mit seinem Tod und seiner Auferstehung dem Teufel die Kraft genommen. Auferstanden und in den Himmel aufgefahren, zeigt Christus dem Vater seine Wunden, als Fürsprecher für alle Menschen, und sendet uns den Heiligen Geist. So bezeugt der Geist unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind, Menschen, die von der Kraft der Sünde und des Todes gerettet wurden, gerettet von der Verführung des Fleisches und den Täuschungen der Welt, vor allem von dem Fluch, uns in allem zu suchen. Er, Christus, hat uns zu Teilhabern seiner Natur gemacht. Wir können lieben, wie er uns geliebt hat, das heißt jenseits des Todes, weil er uns sein Leben gibt, er gibt uns sein ewiges Leben.
Aber wie können wir diesen immensen Reichtum allen Menschen bringen? Wie können wir sie mit einer erneuerten Sprache auf einen Weg führen, in dem sie beginnen, gleich wie in einer Schwangerschaft, das göttliche Leben in sich zu tragen? Dafür ist der Neokatechumenale Weg da. Gott sandte Carmen Hernández und mich, um unter den Armen zu leben, wo er uns zusammen mit den Elendesten eine katechetische Synthese gab. Er ließ uns ein Kerygma durch die Wiederentdeckung des Ostergeheimnisses in einer lebendigen Liturgie finden, wodurch das Leben der Menschen verwandelt wird und vor allem eine kleine christliche Gemeinschaft in Erscheinung tritt. All das kommt vom Zweiten Vatikanischen Konzil. Wir sind ein Instrument, um zu helfen, die konziliare Erneuerung in die Pfarreien zu bringen. Wir denken, dass genau das Konzil die Antwort des Heiligen Geistes auf die Herausforderungen des dritten Jahrtausends war, die Antwort vor allem auf die Herausforderung der Säkularisierung.
Nachdem Sie von der Säkularisierung sprachen, die die Familie zerstört, haben Sie, Heiliger Vater, auf dem Symposium der europäischen Bischöfe von 1985, den Bischöfen gesagt: Der Heilige Geist hat bereits auf diese Herausforderung geantwortet und die Antwort darauf geweckt; weil es Christus ist, der seine Kirche rettet. Sie luden die Bischöfe ein, die Zeichen da zu suchen, wo der Heilige Geist bereits wehte. Sie sagten, es sei eine Neuevangelisierung dringend nötig, die vom allerersten apostolischen Modell inspiriert ist. Schon damals gab es eine Vereinheitlichung der Kultur, die „pax romana“ hatte die Mittelmeerwelt vereinigt: eine Sprache, eine Kultur, die es der frühen Kirche ermöglichte, sich schnell auszubreiten. Hier, Heiliger Vater, sehen Sie diesen Platz voller Brüder. Sehen Sie, wie viele kirchliche Realitäten: Ihre Worte vor dreizehn Jahren waren prophetisch. Hier ist der Hauch des Heiligen Geistes, der helfen möchte, die Kirche zu erneuern. Um den heutigen Menschen zu evangelisieren, werden Zeichen benötigt, die ihn zum Glauben rufen. Christus sagt: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe, und die Welt wird erkennen, dass ihr meine Jünger seid. Seid vollkommen eins und die Welt wird glauben. Aber wir fragen: Wo in unseren Pfarreien ist diese Statur des Glaubens, die zu einem Sakrament werden kann, zu einem Zeichen für den säkularisierten Menschen? Wo wird diese Liebe zum Feind sichtbar gemacht – die Liebe, mit der Christus uns geliebt hat, als wir seine Feinde waren?
Der Neokatechumenale Weg möchte, ebenso wie viele andere christliche Realitäten, ein Weg in den Pfarreien sein, um den Glauben der Taufe zu stärken und christliche Gemeinschaften zu bilden, die die Liebe Christi für alle Menschen sichtbar machen – eine neue Liebe, eine echte Neuheit für die Welt: die Liebe zum Feind, die Liebe in der Dimension des Kreuzes. Um zu dieser Statur des Glaubens zu gelangen, sagen wir, dass wir Gemeinschaften wie die Heilige Familie von Nazareth bilden sollen, in denen die Taufe, die wir erhalten haben, wachsen kann, wie es dem Sohn Gottes passiert ist, der eine Gemeinschaft brauchte, um als Mann zu reifen und erwachsen zu werden. Unser Glaube muss erwachsen werden und dem modernen Menschen Zeichen geben können. Heiliger Vater, wir haben auf diesem Weg des Glaubens große Früchte gesehen: wiederaufgebaute Familien; Familien, die offen für das Leben sind, mit mehr als sechs oder sieben Kindern oder sogar neun Kindern; viele junge Menschen, die von den Drogen gerettet wurden; Tausende von Berufungen für Seminare und für das geweihte und kontemplative Leben; Familien, die sich anbieten, die schwierigsten Gebiete zu evangelisieren. All dies wäre ohne die Hilfe der Bischöfe nicht möglich gewesen, vor allem aber ohne die Hilfe von Petrus. Petrus! Als er uns das erste Mal sah, verteidigte uns Paul VI. gegen viele Anschuldigungen: „Ihr tut nach der Taufe, was die frühe Kirche vor der Taufe getan hat.“ Und er fügte hinzu: „Das Vorher oder Nachher ist nebensächlich. Wichtig ist, dass ihr die Authentizität anstrebt, die Fülle des christlichen Lebens – dies ist ein sehr großes Verdienst, das Uns überaus tröstet.“
Vor allem aber haben Sie, Eure Heiligkeit, beim Besuch von mehr als zweihundert Pfarreien Roms, mit solchem Mut zu uns gesprochen, Familien geschickt und uns ermutigt, Priesterseminare „Redemptoris Mater“ zu eröffnen. Sie bestätigten uns, halfen uns, gingen mit uns, akzeptierten, mit jeder Familie fotografiert zu werden, die in Mission geschickt wurde, damit jeder wusste, dass es sich um vom Papst gesandte Familien handelte; Sie halfen uns bei der Liturgie und kamen, um mit uns die Eucharistie zu feiern, um allen Mut zu machen, auch den Bischöfen. Vor allem haben Sie den Weg in Ihrem Brief an Monsignore Cordes anerkannt: „Ich erkenne den Neokatechumenalen Weg an als ein Itinerarium katholischer Formation, gültig für die Gesellschaft und für die gegenwärtige Zeit“. Also, Eure Heiligkeit, helfen Sie uns weiter, denn diese Arbeit übertrifft uns ungemein und wir fühlen uns sehr arm, nutzlose Diener, noch schlimmer, ein völliges Hindernis. Ohne Petrus könnten wir nicht weitermachen. Danke für alles.
Wir berichten die Rede des Heiligen Vaters Johannes Paul II. an die fünfhunderttausend Menschen, die den kirchlichen Bewegungen und den neuen Gemeinschaften angehören und am Nachmittag vom 30. Mai am Petersplatz an dem außergewöhnlichen Treffen teilnahmen: „Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder; alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt“ (Apg 2,2-4).
Liebe Brüder und Schwestern!
1. Mit diesen Worten führt uns die Apostelgeschichte in das Herz des Pfingstereignisses ein. Uns werden die Jünger gezeigt, die, vereint mit Maria im Abendmahlsaal, die Gabe des Geistes empfangen. So wird die Verheißung Jesu erfüllt und es beginnt die Zeit der Kirche. Von diesem Moment an wird der Wind des Geistes die Jünger Christi an die Enden der Erde bringen. Es wird sie zum Martyrium wegen des unerschrockenen Zeugnisses des Evangeliums führen. Was vor zweitausend Jahren in Jerusalem geschah, wiederholt sich gleichsam heute Abend auf diesem Platz, Zentrum der christlichen Welt. Wie die Apostel befinden auch wir uns im Abendmahlsaal versammelt und sehnen uns nach der Ausgießung des Geistes. Hier wollen wir mit der ganzen Kirche bekennen: „Nur einer ist der Geist … nur einer ist der Herr, … nur einer ist Gott, der alles in allen bewirkt“ (1 Kor 12: 4-6). Dies ist die Atmosphäre, die wir erneut erleben wollen, indem wir die Gaben des Heiligen Geistes für jeden von uns und für das gesamte Volk der Getauften anflehen.
2. Ich begrüße und danke Kardinal James Francis Stafford, Präsident des Päpstlichen Rates für die Laien, für die Worte, die er zu Beginn dieses Treffens auch in eurem Namen an mich gerichtet hat. Mit ihm begrüße ich die anwesenden Kardinäle und Bischöfe. Ein besonderer Dank gilt Chiara Lubich, Kiko Argüello, Jean Vanier und Luigi Giussani für ihre bewegenden Zeugnisse. Zusammen mit ihnen begrüße ich die Gründer und Führer der hier vertretenen neuen Gemeinschaften und Bewegungen. Schließlich liegt es mir am Herzen, jeden von euch, Brüder und Schwestern, die zu den einzelnen kirchlichen Bewegungen gehören, anzusprechen. Ihr habt die Einladung, die ich an Pfingsten 1996 an euch gerichtet habe, umgehend und enthusiastisch angenommen und euch unter Anleitung des Päpstlichen Rates für die Laien sorgfältig auf dieses außergewöhnliche Treffen vorbereitet, das uns auf das große Jubiläum des Jahres 2000 vorbereitet. Der heutige Tag ist wirklich ein beispielloses Ereignis: Zum ersten Mal treffen sich die Bewegungen und die neuen kirchlichen Gemeinschaften mit dem Papst. Es ist das große „gemeinsame Zeugnis“, das ich herbeigewünscht habe für das dem Heiligen Geist gewidmete Jahr, auf dem Weg der Kirche zum großen Jubiläum. Der Heilige Geist ist hier bei uns! Er ist die Seele dieses bewundernswerten Ereignisses der kirchlichen Gemeinschaft. Wahrlich: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat. Wir wollen jubeln und seiner uns freuen“ (Ps 117,24).
3. In Jerusalem vor fast zweitausend Jahren, am Pfingsttag, vor einer Menschenmenge, die erstaunt und spöttisch war über die unerklärliche Veränderung, die bei den Aposteln festgestellt wurde, verkündete Petrus kühn: «Jesus, den Nazoräer, den Gott vor euch beglaubigt hat… habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht. Gott aber hat ihn auferweckt“ (Apg 2,22-24). In den Worten von Petrus tritt das Selbstbewusstsein der Kirche hervor, das auf der Gewissheit beruht, dass Jesus Christus lebt, in der Gegenwart wirkt und das Leben verändert. Der Heilige Geist, der bereits in der Erschaffung der Welt und im Alten Bund am Wirken war, offenbart sich in der Menschwerdung und in dem Ostern des Gottessohnes und „explodiert“ beinahe zu Pfingsten, um die Mission Christi, des Herrn, in Zeit und Raum zu verlängern. Der Geist gründet somit die Kirche als einen Strom neuen Lebens, der in der Geschichte der Menschen fließt.
4. Der Kirche, die nach Ansicht der Väter der Ort ist, „wo der Geist blüht“ (Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 749), spendete der Tröster kürzlich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein erneutes Pfingsten, das eine neue und unerwartete Dynamik hervorgerufen hat. Immer wenn er eingreift, ist der Geist erstaunlich. Er erweckt Ereignisse, deren Neuheit verblüfft; er verändert die Menschen und die Geschichte radikal. Dies war die unvergessliche Erfahrung des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils, bei der die Kirche unter der Leitung desselben Geistes die charismatische Dimension ihrer selbst wiederentdeckt hat: „Derselbe Heilige Geist heiligt außerdem nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern ‚teilt den Einzelnen, wie er will‘ (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden… für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche“ (Lumen Gentium, 12). Der institutionelle und der charismatische Aspekt sind für die Verfassung der Kirche beinahe mit-wesentlich und tragen, wenn auch auf unterschiedliche Weise, zu ihrem Leben, ihrer Erneuerung und der Heiligung des Volkes Gottes bei. Aus dieser von der Vorsehung gewollten Wiederentdeckung der charismatischen Dimension der Kirche hat sich – vor und nach dem Konzil – eine einzigartige Entwicklungslinie der kirchlichen Bewegungen und der neuen Gemeinschaften behauptet.
5. Heute freut sich die Kirche über die erneute Erfüllung der Worte des Propheten Joel, die wir gerade gehört haben: „Ich werde meinen Geist auf jeden Menschen ausgießen …“ (Apg 2,17). Ihr, die ihr hier anwesend seid, seid der konkrete Beweis für diese „Ausgießung“ des Geistes. Jede Bewegung unterscheidet sich von den anderen, aber alle sind in derselben Communio und für dieselbe Mission vereint. Einige vom Geist erweckte Charismen brechen hervor wie ein ungestümer Wind, der die Menschen auf neue Wege des missionarischen Engagements für den radikalen Dienst am Evangelium bringt und fortreißt. So werden die Wahrheiten des Glaubens unablässig verkündet, den lebendigen Strom der Tradition als Geschenk begrüßt und in jedem das glühende Verlangen nach Heiligkeit geweckt. Euch allen, die ihr euch heute hier auf dem Petersplatz versammelt habt, und allen Christen möchte ich heute zurufen: Öffnet euch mit Fügsamkeit für die Gaben des Geistes! Akzeptiert mit Dankbarkeit und Gehorsam die Charismen, die der Geist immer wieder schenkt! Vergesst nicht, dass jedes Charisma zum Gemeinwohl, also zum Wohle der ganzen Kirche, gegeben ist!
6. Charismen sind von Natur aus kommunikativ und führen zu jener „besonderen geistige Verwandtschaft” zwischen den Menschen (vgl. Christifideles laici, 24) und zu jener Freundschaft in Christus, die die „Bewegungen“ entstehen lassen. Der Übergang vom ursprünglichen Charisma zur Bewegung erfolgt aufgrund der geheimnisvollen Anziehungskraft, die der Gründer über diejenigen ausübt, die sich von seiner spirituellen Erfahrung mitreißen lassen. Auf diese Weise stellen sich die von der kirchlichen Autorität offiziell anerkannten Bewegungen als Formen der Selbstverwirklichung und als Wiederschein der einen Kirche vor. Die Entstehung und Verbreitung der Bewegungen hat eine unerwartete und manchmal sogar störende Neuheit in das Leben der Kirche eingebracht. Dies hat Fragen, Unbehagen und Spannungen aufgeworfen. Manchmal hat es einerseits zu Vermutungen und Unmäßigkeiten geführt und andererseits zu nicht wenigen Vorurteilen und Vorbehalten. Es war eine Probezeit für ihre Loyalität, eine wichtige Gelegenheit, die Echtheit ihrer Charismen zu überprüfen. Heute eröffnet sich euch eine neue Etappe: die der kirchlichen Reife. Dies bedeutet nicht, dass alle Probleme gelöst wären. Es ist eher eine Herausforderung. Ein Weg, den es zu gehen gilt. Die Kirche erwartet von euch „reife“ Früchte der Gemeinschaft und des Engagements.
7. In unserer Welt, die oft von einer säkularisierten Kultur dominiert wird, die gottlose Lebensmodelle anstiftet und fördert, wird der Glaube vieler auf die Probe gestellt – ja nicht selten erstickt und erlöscht. Daher besteht ein dringender Bedarf an einer starken Ankündigung und einer soliden und gründlichen christlichen Formation. Welches Bedürfnis besteht heute nach reifen christlichen Persönlichkeiten, die sich ihrer Taufidentität, ihrer Berufung und Mission in der Kirche und in der Welt bewusst sind! Welches Bedürfnis nach lebhaften christlichen Gemeinschaften! Und hier kommen die Bewegungen und die neuen kirchlichen Gemeinschaften zum Vorschein: Sie sind die Antwort des Heiligen Geistes auf diese dramatische Herausforderung zum Ende des Jahrtausends. Sie sind diese von der Vorsehung gewollte Antwort. Wahre Charismen können nur nach einer Begegnung mit Christus in den Sakramenten streben. Die kirchlichen Realitäten, denen ihr gehört, haben euch geholfen, die Taufberufung wiederzuentdecken; die in der Firmung empfangenen Gaben des Geistes aufzuwerten; euch der Barmherzigkeit Gottes im Sakrament der Versöhnung anzuvertrauen und in der Eucharistie die Quelle und den Gipfel des ganzen christlichen Lebens anzuerkennen. So wie auch, dank dieser starken kirchlichen Erfahrung, wunderbare christliche Familien gegründet wurden, die zum Leben offen sind, wahre „Hauskirchen“, viele Berufungen zum Amtspriestertum und zum Ordensleben entstanden sind, sowie neue Formen des Laienlebens, die von den evangelischen Räten inspiriert sind. In den Bewegungen und neuen Gemeinschaften habt ihr gelernt, dass der Glaube kein abstrakter Diskurs oder vages religiöses Gefühl ist, sondern ein neues Leben in Christus, das vom Heiligen Geist erweckt wird.
8. Wie kann die Authentizität des Charismas geschützt und garantiert werden? In diesem Zusammenhang ist es von grundlegender Bedeutung, dass sich jede Bewegung der Unterscheidung der zuständigen kirchlichen Autorität unterwirft. Aus diesem Grund befreit kein Charisma von der Bezugnahme und Unterwerfung unter die Hirten der Kirche. Mit klaren Worten schreibt das Konzil: „Das Urteil über ihre (sc. der Charismen) Echtheit und ihren geordneten Gebrauch steht bei jenen, die in der Kirche die Leitung haben und denen es in besonderer Weise zukommt, den Geist nicht auszulöschen, sondern alles zu prüfen und das Gute zu behalten (vgl. 1 Thess5,12.19-21)“ (Lumen Gentium, 12). Dies ist die notwendige Garantie dafür, dass die Straße, auf der ihr geht, die richtige ist! In der Verwirrung, die in der heutigen Welt herrscht, ist es so leicht, sich zu irren, der Täuschung nachzugeben. In der von den Bewegungen betreuten christlichen Formation darf das Element dieses selbstbewussten Gehorsams gegenüber den Bischöfen, den Nachfolgern der Apostel, in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri niemals fehlen! Ihr kennt die Kriterien der Kirchlichkeit von Laienaggregationen, die in der Apostolischen Ermahnung Christifideles laici (vgl. Nr. 30) enthalten sind. Ich bitte euch, ihnen immer mit Großzügigkeit und Demut anzuhängen, indem ihr eure Erfahrungen in die Ortskirchen und Pfarreien einbringt und immer in Gemeinschaft mit den Hirten bleibt und auf deren Hinweise achtet.
9. Jesus sagte: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12,49). Während sich die Kirche darauf vorbereitet, die Schwelle des dritten Jahrtausends zu überschreiten, nehmen wir die Einladung des Herrn an, damit sein Feuer in unseren Herzen und in dem der Brüder lodert. Heute erhebt sich aus diesem Abendmahlsaal auf dem Petersplatz ein großes Gebet: Komm Heiliger Geist, komm und erneuere das Antlitz der Erde! Komm mit deinen sieben Gaben! Komm, Geist des Lebens, Geist der Wahrheit, Geist der Gemeinschaft und der Liebe! Die Kirche und die Welt brauchen dich. Komm, Heiliger Geist und mache die Charismen, die du schenkst, immer fruchtbarer. Gib diesen hier versammelten Söhnen und Töchtern neue Kraft und missionarischen Elan. Erweitere ihre Herzen, belebe ihr christliches Engagement in der Welt. Mache sie zu mutigen Boten des Evangeliums, zu Zeugen des auferstandenen Jesus Christus, Erlöser und Retter des Menschen. Stärke ihre Liebe und ihre Loyalität zur Kirche. Auf Maria, die erste Jüngerin Christi, Braut des Heiligen Geistes und Mutter der Kirche, die die Apostel am ersten Pfingsten begleitete, wenden wir unseren Blick, auf dass sie uns hilft, von ihrem Fiat die Fügsamkeit für die Stimme des Geistes zu lernen. Heute wiederholt Christus von diesem Platz aus zu jedem von euch: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium jedem Geschöpf!“ (Mk 16,15). Er zählt auf jeden von euch; die Kirche zählt auf euch. „Siehe – versichert der Herr – ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Ich bin bei euch. Amen.
(*) Vgl. „L’Osservatore Romano“, 1.-2. Juni 1998 (eigene Übersetzung aus dem Italienischen).